Allein mit dem Motorrad um die Welt: Eine Frau, 516 Tage, 90.000 Kilometer
SPIEGEL ONLINE: Frau Rieck, vor Ihrer 18-monatigen Weltreise mit dem Motorrad haben Sie sich von einem Mechaniker beraten lassen. Sie schreiben in Ihrem Buch, sein Gesichtsausdruck schien zu sagen: "Das wirst du nicht überleben".
Lea Rieck: Die Situation war absurd. Ich bin als totales Greenhorn in eine Werkstatt und habe gesagt: "Ich reise mit dem Motorrad um die Welt, was brauche ich eigentlich dafür?" Bevor ich losgefahren bin, habe ich nicht alles perfekt geplant. Keine Flüge, keine Verschiffungen, für die meisten Länder habe ich auch keine Reiseführer gekauft. Ich habe lediglich einen Workshop durchlaufen, um die wichtigsten Standards über Mechanik zu lernen.
SPIEGEL ONLINE: Und der genügte?
Rieck: Das Gute ist: In allen Ländern gibt es sehr findige Mechaniker, die dir alles reparieren oder wieder anschweißen, selbst wenn sie die Maschine nicht kennen. Manchmal fehlen ihnen nur die Schraubenschlüssel in der Größe deiner Räder. Deswegen sollte man diese sowie Stecknüsse und weiteres passendes Werkzeug dabei haben. Empfehlenswert sind auch Gaffa-Tape, Kabelbinder und ein Stahldrahtseil, falls man unterwegs ein abgefallenes Teil wieder anbinden muss.
SPIEGEL ONLINE: Welche Strecke haben Sie ausgewählt?
Rieck: Mein größter Traum war der erste Teil der Route: von München über Russland, Kirgistan, China bis Thailand. Man fährt einfach hier los und kommt in Thailand an - das ist eigentlich verrückt.
Allein mit dem Motorrad um die Welt: Eine Frau, 516 Tage, 90.000 Kilometer
SPIEGEL ONLINE: Sie haben sehr preisgünstig gelebt, in Zelten übernachtet, in Hostels oder Homestays. Was war der teuerste Aspekt?
Rieck: Das Verschiffen des Motorrads ist eigentlich der größte Kostenbrocken. Von Australien nach Südamerika zahlt man rund 1500 Euro, von Lima nach Panama 2000 Euro. Zudem muss man sich vorher ein Zolldokument namens "Carnet de Passage" für die zollfreie Einfuhr des Fahrzeugs beim ADAC besorgen.
SPIEGEL ONLINE: Welches Land hat Ihnen am besten gefallen?
Rieck: Pakistan. Vor allem das Karakorum-Gebirge. Es ist unfassbar hoch und rau. Auch die Mentalität entspricht meinem Naturell: Es ist nicht alles eitel Sonnenschein, und die Menschen sind ehrlich und kernig. Im Vorfeld hatte ich allerdings schon ein wenig Bedenken aufgrund der Sicherheitslage und fragte in einem Internetforum: "Würdet ihr als Frau alleine durch Pakistan reisen?" 19 von 20 Antworteten lauteten: "Auf gar keinen Fall. Das ist ein Selbstmordkommando!" Nur ein Pakistani meinte: "Mein Land ist super, komm hier her!"
Lea Rieck wurde 1986 in München geboren. Wenn sie nicht um die Welt reist, arbeitet sie in München als Journalistin und Beraterin in der digitalen Konzeption. Über ihre Weltreise mit dem Motorrad hat sie das Buch "Sag dem Abenteuer, ich komme" geschrieben.
SPIEGEL ONLINE: Das hat Ihre Bedenken entkräftet?
Rieck: Nein. Das habe ich gemerkt, als ich nur zögerlich ein sehr heruntergekommenes Hotel in den Bergen betreten habe. Einer von zwei Männern in traditioneller Bekleidung hat hinter mir die Tür zugeschlagen, und in diesem Moment habe ich mich gefragt: War das eine gute Entscheidung?
Rieck: Bei einem Tee hat mir die Familie erzählt, dass sie wegen der Taliban und den Konflikten in der Region ihre Lebensgrundlage verloren hätten. Touristen kämen nur noch selten. Früher hätten sie die Tradition gehabt, jedem Reisenden eine Geschichte mit auf den Weg zu geben. Mir haben sie das Sprichwort geschenkt: "Das Schicksal ist ein gesattelter Esel. Es geht, wohin du es führst." Das fand ich schön, denn beim Reisen entscheidet man ja jeden Tag etwas Neues. Fahr ich nach links oder nach rechts? Auf beiden Wegen wird man etwas sehr Unterschiedliches erleben.
SPIEGEL ONLINE: An unerwarteten Ereignissen mangelt es Ihrer Reise nicht: Sie waren während des Militärputsches in der Türkei, sind gegen eine Sanddüne gebrettert und hatten eine Liebschaft mit einem russischen Scharfschützen.
Rieck: Wenn mir jemand vor meiner Reise erzählt hätte: Hey, du wirst mit jemanden am Tisch sitzen, der mehrere Leute auf dem Gewissen hat, hätte ich gesagt, niemals! Doch irgendwann merkt man, diese Menschen hatten vielleicht keine andere Option. Und dann sitzt man auf seinem hohen Ross und fragt sich, ob man mit seiner eigenen privilegierten Lebensrealität jemanden dafür verurteilen kann.
Weltreise auf dem Motorrad: Sehen Sie hier die Etappen im Überblick!
Reiseroute in Auszügen (nicht maßstabsgetreu)
SPIEGEL ONLINE: In Russland sind Sie durch einen Heuschreckenschwarm gefahren - was war das für ein Gefühl?
Rieck: Eklig und schmerzhaft. Man fährt da rein, und alles wird mehr oder weniger schwarz. Die Insekten landen auf dem Visier und zerplatzen. Auf deinem Körper. Wie kleine Hagelkörner. Das war fast eine biblische Erfahrung. Jetzt habe ich eine Idee davon, wie es ist, wenn Heuschrecken Landstriche leer fressen.
SPIEGEL ONLINE: Welche Highways, Straßen oder Pässe haben Sie am meisten beeindruckt?
Rieck: Die Pamirstraße durch Tadschikistan und der Karakorum-Highway durch Pakistan waren meine Favoriten, vielleicht auch, weil ich nicht so viele Erwartungen daran hatte. Die Anden sind auch ein Traum, weil sie so vielseitig sind, vor allem die Ruta 7 durch Chile und Patagonien ist sehr schön.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie viele andere Frauen auf dem Motorrad getroffen?
Rieck: Leider habe ich keine einzige Frau getroffen, die alleine gefahren ist, sondern überwiegend Männer über 50 oder Pärchen. Auf sozialen Netzwerken hatte ich dagegen viel Austausch mit Frauen, die mit dem Motorrad reisten oder reisen wollten.
SPIEGEL ONLINE: Wie reagieren Einheimische oder Touristen auf eine alleine reisende Frau mit Motorrad?
Rieck: Die Einheimischen waren immer sehr nett und zurückhaltend, auch in den Werkstätten galt die Devise: Ach, du machst das schon! Bei Motorradtouristen birgt das eine gewisse Gefahr des Mansplainings, auch wenn die Situation sehr nett sein kann. Sofort wenn ich irgendwo ankam, gaben mir Leute Tipps, obwohl sie manchmal viel weniger Ahnung hatten als ich selbst.
SPIEGEL ONLINE: In einem Kapitel geht es um den Backpacker Jack, der Ihnen das Reisen erklärt und danach relativ baff ist, als er Ihr Motorrad entdeckt...
Rieck: Das ist sehr exemplarisch für viele Begegnungen in Hostels. Dort gibt es oft einen Wettbewerb darum, wer schneller oder extremer reist. Die Generation, die gerade unterwegs ist, führt ja auch dieses Instagram-Leben. Es wirkt so, als fliege jeder um den Erdball, als wäre jeder an den coolsten Orten - und jeder will besonders individuell sein. Und am Ende rennt man doch dem hinterher, was eigentlich in den Medien oder in den sozialen Medien gezeigt wird.
SPIEGEL ONLINE: Welche Begegnung hat Sie besonders beeindruckt?
Rieck: In Nepal hat mir eine Frau dabei geholfen, mein zerrissenes Kleid zu flicken. Sie wohnte in einem Bretterverschlag, ohne Elektrizität und fließendes Wasser. Als ich mich verabschiedet habe, hat sie mir Geld geschenkt, obwohl sie selbst keines hatte. Als Buddhistin verwies sie auf das Prinzip der Mitfreude. Das fand ich total berührend. Es ist eigentlich krass, dass wir so oft diesen neidischen Blick auf andere haben, auch wenn es uns selbst hier eigentlich gut geht.
SPIEGEL ONLINE: Am Ende der Reise stehen Sie in einer Kathedrale in Spanien und sind überwältigt. Was war da los?
Rieck: Als ich zurückgekommen bin, hab ich dieses Europa plötzlich aus dem distanzierten Blick der Reisenden gesehen und war beindruckt. Wir haben wahnsinnige Kulturschätze, unfassbare Landschaften, so viele Länder mit sehr vielen Kulturen auf sehr engen Raum - das ist etwas sehr Besonderes.
Samarkand in Usbekistan: Lea Rieck fuhr mit ihrem Motorrad 18 Monate lang um die Welt - etwa 90.000 Kilometer weit durch 50 Länder. Zehn Sätze Reifen hat sie für die Strecke gebraucht.
Militär-Checkpoint in Pakistan: Beeindruckt hat Rieck die Fahrt auf dem knapp 1300 Kilometer langen Karakorum Highway, die höchste Fernstraße der Welt mit spektakulärer Streckenführung an Gebirgsriesen wie Nanga Parbat und K2 vorbei.
Willkommen in Indien während der Durga-Puja-Feier: Rieck hat ihr Motorrad auf "Cleo" getauft. Die Triumph Tiger 800 XCA Baujahr 2016 sei wegen des Drei-Zylinder-Motors angenehm auf langen Strecken, sagt sie. Ihr Gefährt wiegt 206 Kilogramm, mit Gepäck circa 260 Kilogramm.
Sturz und platter Reifen in Indien: "Je größer das Pech, um so netter die Menschen", sagt Rieck. In allen Ländern gebe es sehr findige Mechaniker, die alles reparieren oder wieder anschweißen, selbst wenn sie die Maschine nicht kennen.
On the Road in Myanmar: "Wer ohne platte Reifen um die Welt gereist ist, der hat die falschen Straßen genommen. Außerdem habe ich zweimal die Kupplung des Motorrads verbrannt, am Hinterrad ist ein Radlager explodiert, und der Starter musste nach 75.000 Kilometern ausgetauscht werden", schreibt Rieck in ihrem Reisebuch.
Atacama-Wüste: Rieck posiert vor der elf Meter hohen Skulptur Mano de Desierto. Zwei Kleider hatte sie in ihrem Gepäck, eins davon knallrot - mit dem fotografiert sie sich gerne.
Freude in Bolivien: Eineinhalb Jahre vor ihrer Reise hat Lea Rieck ihren Motorrad-Führerschein gemacht.
Rieck nahm die Laguna-Route an der Grenze von Chile und Bolivien, die direkt zur Salzpfanne Uyuni führt.
Blick auf Machu Picchu: "Bevor ich losgefahren bin, habe ich nicht alles perfekt geplant. Keine Flüge, keine Verschiffungen, für die meisten Länder habe ich auch keine Reisebücher gekauft", sagt Rieck.
Zelten in den USA: Die Münchnerin reiste möglichst günstig - und übernachtete oft im Zelt, in Hostels und in Homestays.
Espenbaumwald in Colorado: Andere allein reisenden Motorradfahrerinnen hat Rieck auf ihrer Weltreise nicht getroffen, nur Männer oder Paare.
Antelope Canyon: Wenn Rick nicht um die Welt reist, arbeitet sie in München als Journalistin und Beraterin in der digitalen Konzeption.
"Beim Reisen entscheidet man jeden Tag etwas Neues. Fahr ich nach links oder nach rechts? Auf beiden Wegen wird man etwas sehr Unterschiedliches erleben."
Kanada: "Die Generation, die gerade unterwegs ist, führt ja auch dieses Instagram-Leben. Es wirkt so, als fliege jeder um den Erdball, als wäre jeder an den coolsten Orten - und jeder will besonders individuell sein. Und am Ende rennt man doch dem hinterher, was eigentlich in den Medien oder in den sozialen Medien gezeigt wird."
Reiseroute in Auszügen (nicht maßstabsgetreu)
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